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Die Auswirkungen des neuen Lieferkettengesetzes auf Versicherungsunternehmen

Von Andrea Brock / Alexander Meyer
General Managerin / Market Manager

Auch Versicherungsunternehmen können auf verschiedene Weise vom LkSG betroffen sein: Als Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern im Inland und der Pflicht zur Überwachung der eigenen Lieferkette, als Zulieferer für die eigene Kundschaft, sofern diese selbst eine entsprechende Größe hat oder bei der Produktausgestaltung, wenn die gesetzlichen Än­de­rungen Prämien- oder Klauselanpassungen erfordern.

79 Millionen Kinder arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen – ohne Beachtung von sozialen Mindeststandards wie den ILO-Kernarbeitsnormen. Weitere 25 Millionen Menschen müssen Zwangsarbeiten verrichten. Menschenrechte werden auch durch Umweltverschmutzungen am Arbeitsplatz verletzt, wenn Trinkwasser verseucht ist oder die Gesundheit der Angestellten auf andere Weise beeinträchtigt wird. Diesen untragbaren Zuständen abzuhelfen, dafür tragen Deutschland und seine Wirtschaftsunternehmen eine besondere soziale Verantwortung. Denn keine andere große Industrienation ist derart intensiv in die globalisierte Wirtschaft und internationale Lieferketten eingebunden – und an deren Anfang steht immer ein Mensch. Auch auf Versicherer kann das neue Gesetz Auswirkungen haben.

Ab dem 1. Januar 2023 fallen unter das Lieferkettengesetz alle Unternehmen mit Haupt- oder Zweigniederlassung in Deutsch­land, sofern sie mindestens 3000 Personen im Inland beschäf­tigen. Ab 2024 wird der Schwellenwert auf 1000 Arbeitnehmer abgesenkt. Die Rechtsform oder der Tätigkeitsbereich einer Firma spielen bei der Anwendung des Gesetzes keine Rolle.

Forst-, Immobilien- und Entsorgungswirtschaft dürften wegen der primär auf das Inland bezogenen Produkte und Dienstleistungen sowie nur geringer menschenrechtlicher Risiken von dem neuen Lieferkettengesetz in der Praxis nur geringfügig betroffen sein. Dagegen ist davon auszugehen, dass vor allem Firmen aus dem Baugewerbe, den Bereichen Bergbau, Elektronik, Energieversorgung, Mineralölverarbeitung sowie Nahrungsmittel und Textilien Teil von internationalen Lieferketten und somit angesprochen sind.

Sowohl der Begriff der »Lieferkette« als auch die Definition des »eigenen Geschäftsbetriebs« sind weit gefasst. Damit ist neben der Herstellung von Produktverwertungen auch die Erbringung von Dienstleistungen im In- oder Ausland gemeint.

Auch Versicherungsunternehmen können auf verschiedene Weise vom LkSG betroffen sein:

  • Als Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern im Inland und der Pflicht zur Überwachung der eigenen Lieferkette.
  • Als Zulieferer für die eigene Kundschaft, sofern diese selbst eine entsprechende Größe hat.
  • Bei der Produktausgestaltung, wenn die gesetzlichen Än­de­rungen Prämien- oder Klauselanpassungen erfordern.

Wirkung auf unmittelbar adressierte ­Unternehmen

Als unmittelbar vom Gesetz erfasste Unternehmen erstrecken sich die Sorgfaltspflichten grundsätzlich auf die gesamte Lieferkette, vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Unternehmen sind gehalten, das Geschäftspartnerportfolio einer ganzheitlichen Risikoanalyse zu unterziehen – von den eige-
nen Geschäftsaktivitäten über Lieferanten bis hin zu den Kunden. Men­schenrechtliche und umweltbezogene Risiken sollten nach Möglichkeit erkannt, Verletzungen geschützter und umweltbezogener Pflichten sollten vorgebeugt, beendet oder mi­nimiert wer­den. Risikobehaftete Geschäftspartner können so einfach und schnell identifiziert werden. Zu unterscheiden ist dabei zwischen mittelbaren und unmittelbaren Zulieferern. Während für unmittelbare Zulieferer generell eine Analyse erfor­derlich ist, genügt bei mittelbaren Zulieferern eine Reaktion auf konkrete Verdachtsmomente. Insofern ergeben sich für Ver­sicherer keine Besonderheiten gegenüber anderen Marktteil­nehmern.

Mittelständischen Unternehmen kann es unter Umständen schwerfallen, das Gesetz einzuhalten. Denn sie sind oft nicht in der Lage, ihre weltweiten Lieferketten lückenlos zu überwachen. Allerdings sieht das Gesetz lediglich eine Bemühens- und keine Erfolgspflicht der Unternehmen vor, was Aufwand und Risiko für die sorgfaltspflichtige Firma vermindert. Ferner schafft das LkSG keine neue zivilrechtliche Haftungsgrundlage. Dagegen besteht die Möglichkeit, dass bei Verletzung der Sorgfaltspflichten öffentlich-rechtliche Sanktionen verhängt werden.

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überprüft die Einhaltung des LkSG. Die Behörde kontrolliert Unterneh­mensberichte und geht eingereichten Beschwerden nach. Bei Verstößen drohen Zwangs- und Bußgelder sowie der zeitlich begrenzte Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.

Versicherungsunternehmen als ­Zulieferer

Sind auch Versicherungsunternehmen Zulieferer ihrer Kunden? Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage ist es, ob eine Versicherungsdienstleistung für die Herstellung oder das Angebot von Produkten und Dienstleistungen erforderlich ist. Unzweifelhaft zu bejahen ist dies bei Pflichtversicherungen. Für Anwälte oder Architekten besteht zum Beispiel die gesetzliche Pflicht, vor Ausübung ihrer Tätigkeit eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen. Das absichernde Versicherungsunternehmen wird damit Teil der Lieferkette. Solche vorgeschriebenen Versicherungen stellen aber nur einen Bruchteil des gesamten Versicherungsmarktes dar.

Außerhalb der Pflichtversicherung gehen wir in der Regel davon aus, dass Versicherer nicht Teil der Lieferkette sind, da es sich lediglich um ein optionales Mittel der Risikofinanzierung han­delt. Es könnte jedoch zukünftig einen Graubereich geben, in dem Versicherungen nicht vorgeschrieben, aber faktisch unabdingbar sind, um die eigenen Leistungen anbieten oder finanzieren zu können. Die Frage, wo dabei genau die Grenze verläuft, muss noch beantwortet werden. In Bezug auf das LkSG ist die Versicherungsbranche wenig risikobehaftet. Daher gehen wir da­von aus, dass der Graubereich eng zu fassen ist und nur wenige Produktgruppen betrifft.

Unternehmen haben in der Erfüllung des LkSG Ermessensspielräume. Bei der Analyse von bestehenden Zulieferern können nach unserer Einschätzung bereits zahlreiche Versicherer ausgeklammert werden. Auch wenn ein Unternehmen einzelne Versicherer als Zulieferer betrachtet, bedeutet das nicht zwingend externen Handlungsaufwand. Da die Versicherungsbranche in diesem Sinne als minimal risikobehaftet anzusehen ist, kann auch eine interne Dokumentation der Analyse und Bewertung genügen. Damit könnten aufwendige Prozesse beispielsweise zur gegenseitigen Anerkennung entsprechender Codes of Conducts, wie wir sie in den vergangenen anderthalb Jahren häu­fig erlebt haben, vermieden werden.

Einfluss auf Versicherungsprodukte

Die Auswirkungen des LkSG auf bestehende Versicherungs­produkte sind bisher sehr gering. Mangels neuer zivilrechtlicher Haftungsgrundlage und aufgrund der Beschränkung auf eine Bemühenspflicht sind Schadenereignisse abstrakt und limitiert. Am ehesten lässt sich eine Auswirkung auf D&O Versicherungen vermuten. In unserer eigenen Bewertung beziehungsweise Markt­wahrnehmung hat sich das jedoch bisher nicht durch bestimmte Änderungen im Wording oder Anhebungen im Pricing bemerkbar gemacht. Diese Entwicklung ist weiter zu beobachten und wird maßgeblich von möglichen neuen Gesetzgebungsvorhaben oder der Erweiterung des Adressatenkreises beeinflusst.

So hat der Europäische Rat im Dezember 2022 seinen Stand­punkt zu einem zuvor von der EU-Kommission vorgeschlagenen Entwurf für eine europaweite Lieferketten-Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) verkündet. Im nächsten Schritt muss sich das Europäische Parlament positionie­ren, was für den Mai 2023 erwartet wird, bevor in – mittlerweile üblich gewordenen – informellen Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament eine Einigung herbeigeführt wer­den dürfte. Nach endgültiger Verabschiedung der Richtlinie haben die EU-Mitgliedstaaten voraussichtlich zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationale Gesetze zu überführen. Durch die neuen Rechtsvorschriften der Europäischen Union würden die Achtung der Menschenrechte und der Umweltschutz gefördert, gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen innerhalb der EU geschaffen und eine Fragmentierung durch Alleingänge der Mitgliedstaaten vermieden.

Insgesamt gehen die angedachten EU-Regelungen deutlich weiter als das LkSG. Dies gilt insbesondere für die zivilrechtliche Haftung bei Sorgfaltspflichtverletzungen und die Anwendung auf einen deutlich größeren Kreis von Unternehmen (Bereich: Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und einem weltweiten Nettojahresumsatz von 8 Millionen Euro). Das Unionsrecht hätte Anwendungsvorrang, sodass der deutsche Gesetzgeber nachschärfen müsste. Entgegen der allgemeinen Aussicht sieht der GDV bei dem Richtlinienentwurf Potenzial zu Entschärfungen für Versicherungen unter anderem bei den Vorgaben an die Wertschöpfungskette.

Fazit

Wir sehen im LkSG einen richtigen und wichtigen Schritt zu mehr Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt. Die aktuellen Aus­wirkungen in unserem Segment sind abgesehen von einem größeren Verwaltungsaufwand noch gering. Innerhalb der bestehenden Möglichkeiten sehen wir aber Potenzial für eine Lernkurve. Praktische Auslegungen durch Behörden und Gerichte werden ebenso wie die fortlaufende Beschäftigung mit dem Thema in Unternehmen zu mehr Sicherheit bei der Ausgestaltung von Maßnahmen führen. Künftige rechtliche Anpassungen sollten zum Ziel haben, sowohl den Schutzzweck zu erhöhen als auch risikoadäquat nicht zielgerichtete Aufwände zu senken. Als Teil der übergeordnet steigenden ESG-Anforderungen wird uns dieses Thema weiter beschäftigen und wachsenden Einfluss auf unser Alltagsgeschäft nehmen. Wir empfehlen betroffenen Unternehmen, den Dialog mit ihren Versicherungs- und Maklerpartnern zu suchen.

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Alexander Meyer

Alexander Meyer

Leiter Market Management

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Alexander.Meyer@de.qbe.com