Die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung schafft neue Aufgaben und Haftungsrisiken für den EU-Bevollmächtigten für Medizinprodukte.
MedTech-Unternehmen sind ein wesentlicher Innovationstreiber im Gesundheitssektor. Hochkomplexe Medizinprodukte wie etwa Herz- und Hirnschrittmacher oder hochauflösende MRT/CT-Systeme sind nicht mehr aus dem Alltag der modernen Medizin wegzudenken. Aufgrund der herausragenden Komplexität solcher Produkte können jedoch Patienten in besonderem Maße gesundheitlichen Risiken ausgesetzt sein. Dies kann nicht nur für die behandelnden Ärzte und Kliniken besondere rechtliche Haftungsrisiken zur Folge haben, sondern auch für die Hersteller der Produkte und sonstige Wirtschaftakteure. Die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung (''MDR'') verschärft insbesondere die Haftungsrisiken für den EU-Bevollmächtigten (auch ''EU Authorized Representative'' bzw. ''EC Rep'' genannt) für Medizinprodukte, was auch für dessen Absicherung gegen Haftpflichtrisiken von Relevanz ist.
Medizinprodukte sind Produkte mit medizinischer Zweckbestimmung, die vom Hersteller für die Anwendung beim Menschen bestimmt sind und primär physikalisch wirken. Anders als Arzneimittel wirken Medizinprodukte nicht pharmakologisch, metabolisch und/oder immunologisch.
Die Bandbreite von Medizinprodukten ist sehr vielfältig und reicht von einfachen Mundspateln oder Pflastern bis hin zu hochkomplexen Produkten wie z.B. Herz- und Hirnschrittmacher, Hüft- und Knieprothesen, hochauflösende MRT/CT-Systeme, roboterassistierte Chirurgie, hochmoderne Bestrahlungsgeräte zur Präzisionsbestrahlung von Tumoren oder Big Data/KI gestützte Diagnose- und Behandlungssoftware.
Medizinprodukte werden risikobasiert in vier Hauptklassen unterteilt: I, IIa, IIb und III. Je höher das Risikopotential für Patienten ist, umso höher ist die Klasse des Medizinprodukts und damit die Anforderung an dessen Markteintritt. Darüber hinaus dürfen bestimmte Medizinprodukte ausschließlich aufgrund einer ärztlichen Verordnung an Laien abgegeben werden bzw. dürfen ausschließlich vom medizinischen Fachpersonal verwendet werden.
Zur Verbesserung von Gesundheit und Sicherheit im Zusammenhang mit Medizinprodukten gilt seit dem 26.10.2021 in Deutschland sowie in allen anderen EU-Mitgliedsstatten die MDR. Die MDR ersetzt weitestgehend die bisherigen europäischen und nationalen Regelungen zu Medizinprodukten.
Neben erhöhten Anforderungen unter anderem an die Zulassung, die klinische Prüfung und Bewertung, das Inverkehrbringen und die Überwachung von Medizinprodukten sowie die Zusammenarbeiten von nationalen (z.B. das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – ''BfArM'') und europäischen (Europäische Arzneimittel-Agentur – ''EMA'') Arzneimittel- und Medizinproduktebehörden, finden sich in der MDR nunmehr insbesondere auch neue Regelungen zum EU-Bevollmächtigten.
Jeder Hersteller eines Medizinproduktes, der nicht in einem der EU-Mitgliedstaaten niedergelassen ist, muss zwingend einen EU-Bevollmächtigten benennen, um ein Produkt in der EU in den Verkehr bringen zu können (vgl. Art. 11 Abs. 1 MDR).
Ein EU-Bevollmächtigter ist gemäß Art. 2 Nr. 32 MDR jede in der EU niedergelassene natürliche oder juristische Person, die von einem außerhalb der EU ansässigen Hersteller schriftlich beauftragt wurde, in seinem Namen bestimmte Aufgaben in Erfüllung seiner aus der MDR resultierenden Verpflichtungen wahrzunehmen.
Der EU-Bevollmächtigte ist jedoch keineswegs ein neuer Akteur des Medizinprodukterechts: Im Vergleich zu früher geltenden Regelungen sind die Verpflichtungen des EU-Bevollmächtigten in der MDR nun allerdings detailliert aufgelistet. Bei dem Inverkehrbringen von Medizinprodukten auf dem europäischen Markt ist der EU-Bevollmächtigte jedoch nur einer von vier Wirtschaftsakteuren, die in der MDR normiert sind. Neben ihm werden in der MDR des Weiteren die Aufgaben und Verpflichtungen des Herstellers, des Importeurs und des Händlers festgelegt.
Zur Erläuterung: Im Unterschied zum Hersteller, welcher die Medizinprodukte selbst herstellt oder aufbereitet und unter eigenem Namen oder dem Namen der eigenen Marke vermarket, übernimmt der EU-Bevollmächtigte nach einer schriftlichen Beauftragung durch den (Nicht-EU-)Hersteller bestimmte Aufgaben für diesen Hersteller. Die MDR verlangt dies, um sicherzustellen, dass sich die Behörden an eine verantwortliche Person in der EU richten können.
Im Gegensatz zu einem EU-Bevollmächtigten ist ein Händler jeder in der Lieferkette, der ein Medizinprodukt bis zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme auf dem Markt bereitstellt. Das bedeutet, dass der Händler Medizinprodukte aus einem Land der EU kauft und verkauft.
Ein Medizinprodukte-Importeur hingegen bringt Medizinprodukte aus einem Nicht-EU-Land direkt auf dem EU-Markt in den Verkehr. In der Regel kauft ein Importeur ein Medizinprodukt von einem Nicht-EU-Hersteller und verkauft es dann weiter an einen Händler oder direkt an den Endabnehmer. Einen Importeur treffen vergleichbare Pflichten wie den EU-Bevollmächtigten.
Eine entscheidende Rolle spielt der EU-Bevollmächtigte insbesondere bei der Gewährleistung der Übereinstimmung eines Medizinproduktes mit den gesetzlichen Anforderungen gemäß MDR. So ist er dazu verpflichtet, zu überprüfen, ob der Hersteller die erforderliche EU-Konformitätserklärung (eine formale Bestätigung, dass das Medizinprodukt alle Anforderungen erfüllt) sowie die technische Dokumentation erstellt hat und gegebenenfalls ein entsprechendes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt wurde, also grundsätzlich alle Voraussetzungen für die Sicherheit und Wirksamkeit des Medizinprodukts gegeben sind. Aufgrund dieser zentralen Rolle des EU-Bevollmächtigten ist als besonderes Novum nunmehr in der MDR die Haftung des EU-Bevollmächtigten neben der Haftung des Herstellers für das Medizinprodukt und seine Sicherheit vorgesehen, dazu sogleich.
Zudem muss der EU-Bevollmächtigte stets eine Kopie der aktuellen technischen Dokumentation bereithalten und sicherstellen, dass die Medizinprodukte und der Hersteller in der EUDAMED, einem entsprechenden europäischen Register für Medizinprodukte, registriert werden.
Darüber hinaus trifft den EU-Bevollmächtigten die Verpflichtung, den Hersteller über Reklamationen von Anwendern zu informieren.
Der EU-Bevollmächtige übernimmt des Weiteren die zentrale Rolle als Kontaktperson zwischen dem Hersteller und den zuständigen nationalen Behörden. Neben der Kommunikation mit den zuständigen nationalen Behörden stellt der EU-Bevollmächtigte diesen auf Anfrage Dokumente und Proben des jeweiligen Medizinprodukts bereit und unterstützt sie bei Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen.
Zwar werden die einzelnen Pflichten des EU-Bevollmächtigten in der MDR nun detailliert normiert. Diese müssen jedoch zusätzlich auch in einem schriftlichen Mandatsvertrag zwischen dem EU-Bevollmächtigten und dem Hersteller festgelegt werden.
Als besondere Neuerung sieht die MDR nun ausdrücklich eine Haftung des EU-Bevollmächtigten gemeinsam mit dem Hersteller für fehlerhafte Produkte vor, falls der Hersteller seinen wesentlichen Pflichten aus der MDR nicht nachkommt (vgl. Art. 11 Abs. 5 MDR ). Ein Geschädigter kann also zunächst auch allein den EU-Bevollmächtigten in Anspruch nehmen, z.B. weil dieser – anders als der Hersteller – seinen Sitz in der EU hat. Ein Ausgleich mit dem Hersteller kann dann später erfolgen (und umgekehrt). Eine entsprechende Haftung ist für Importeure und Händler von Medizinprodukten in der MDR nicht vorgesehen. Dies bringt sehr umfassende Prüfungs- und Sorgfaltspflichten sowie erhöhte Haftungsrisken insbesondere für EU-Bevollmächtigte mit sich.
Die konkreten Haftungsrisiken für EU-Bevollmächtigte können jedoch – vor allem wegen der großen Bandbreite von Medizinprodukten – nach ihrer Art und Höhe von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Im Rahmen einer Haftungsanalyse sind daher regelmäßig verschiedene Faktoren zu betrachten und von Fall zu Fall individuell zu gewichten. Einige relevante Faktoren innerhalb einer solchen individuell zu bestimmenden Haftungsmatrix können etwa der medizinische Verwendungszweck, die Risikoklasse, der Zulassungsstatus und das Einsatzgebiet des konkreten Medizinprodukts, die Zahl und Art der Patienten, bei denen das Produkt eingesetzt werden soll, die Compliance-Historie und das Geschäftsmodell des Herstellers sowie der konkrete Inhalt des Mandatsvertrag zwischen dem EU-Bevollmächtigten und dem Hersteller sein.
Um den möglichen Haftungsrisiken des EU-Bevollmächtigten effektiv entgegentreten zu können, ist eine Partnerschaft mit einer auf diese Themen spezialisierte Haftpflichtversicherung notwendig.
Die neue MDR schafft eine Vielzahl neuer Aufgaben und Haftungsrisiken insbesondere für EU-Bevollmächtigte. EU-Bevollmächtigte sollten daher die möglichen Auswirkungen dieser Änderungen im Einzelnen prüfen und gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen treffen, um etwaige Haftungsrisiken adäquat abzudecken.
Dies erfordert eine Analyse von möglichen Risken und eine entsprechende Absicherung auf individueller Basis. Damit ein möglichst optimaler Versicherungsschutz gewährleistet ist, empfehlen wir einen detaillierten Austausch mit einem auf diese Fragen spezialisierten Versicherer.